Aussicht - Agenturwelt

| Lesezeit: 12 Minuten

Ist Full Service wirklich tot? Agenturen zwischen Spezialisierung und Betreuungs-Anspruch

von Michael Uecker

Das beliebte Modell der Full-Service-Werbeagentur gerät durch den fortschreitenden Trend zur Spezialisierung zunehmend unter Druck. Was bedeutet das für das Konzept der Rundum-Betreuung? Welche Vorteile bieten Spezialagenturen gegenüber Full-Service-Anbietern? Was sollten Unternehmen bei der Agenturauswahl berücksichtigen? Und wie könnte eine Full-Service-Betreuung in Zukunft aussehen?

Mit den Antworten auf diese Fragen beschäftigt sich der folgende Beitrag und konzentriert sich dabei vor allem auf die Bedürfnisse von Klein- und mittelständischen Unternehmen.

 

Die Ausgangssituation: Full Service in Bedrängnis

Über viele Jahre hinweg schien es ausgemacht: die Full-Service-Agentur bot die perfekte Lösung für Unternehmen, die eine übergreifende Kommunikations- und Marketingbetreuung suchen: breit gefächerte Leistungen, über alle wichtigen Disziplinen hinweg, nahtlos abgestimmt und aus einer Hand.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo im brodelnden Marketing-Universum eine neue Geschäftsidee aufpoppt, eine neue Technologie vorgestellt oder ein frischer Kommunikationskanal gelauncht wird. Speziell der machtvolle Trend zur Digitalisierung setzt in rasantem Tempo neue Akzente, die das bisher gültige Gefüge in Frage stellen.

Junge Disziplinen wie SEO, SEA, Social Media, Programmatic Advertising, Marketing Automation, Data Science u. v. m. bieten aufregende Perspektiven, fordern aber zugleich fundierte Kompetenz von ihren Anwendern. Ein Know-how, wie es nur Experten abdecken können.

Und genau das macht die Idee der Full-Service-Agentur zunehmend unglaubwürdig. Denn in einem Serviceumfeld, das sich rasant verändert und dabei ständig neue Arbeitsfelder hervorbringt, sind wendige Spezialanbieter klar im Vorteil.

Ist die Zeit der „Multitasker“ jetzt also endgültig vorbei?

„In einem Werbemarkt, der das Full-Service-Konzept in Frage stellt, ist das Bedürfnis nach übergreifender Betreuung eher noch gewachsen.“

Der Wunsch nach Full Service ist ungebrochen
Bei aller Kraft, die der Trend zur Spezialagentur entfaltet, hat das Modell einer Rundum-Betreuung aus der Kundenperspektive keineswegs an Attraktivität verloren. Zu verlockend ist die Idee des kompetenten Begleiters, der komplexe Zusammenhänge durchschaubar macht, Abstimmungsprozesse auf wenige Ansprechpartner reduziert und die Marketingabteilungen souverän durch den Dschungel der Optionen navigiert.

Denn die wachsende Anzahl der Disziplinen und Kompetenzfelder, die das Agenturumfeld durcheinanderwirbeln, setzen ganz genauso die Unternehmen unter Druck: Wie können sie unter diesen Umständen den Überblick über ihre Werbeaktivitäten behalten? Die richtigen Technologien einsetzen? Wie die richtigen Agenturpartner finden und koordinieren? Das ist speziell für Kleinunternehmen und Mittelständler eine immense Herausforderung.

Paradox aber wahr: In einem Werbemarkt der zunehmend komplexer wird – und das Full-Service-Konzept damit infrage stellt – ist das Bedürfnis nach übergreifender Betreuung eher noch gewachsen.

So gestaltet sich die Ausgangslage, auf die Unternehmen einerseits und Agenturen andererseits angemessen reagieren müssen. Um herauszufinden, wie eine passende Antwort aussehen könnte, lohnt es sich, zunächst einmal die Agenturtypen gegenüberzustellen, von denen hier die Rede ist. Was sind ihre Stärken und was können Sie ihren Kunden bieten?

 

Full Service vs. Spezialagentur: die Konzepte im Vergleich

a) Full Service Agentur
Mit der Umschreibung „Full Service“ verbindet sich der Anspruch, den Kunden alle (wichtigen) Services innerhalb eines bestimmten Dienstleistungssektors oder Teilbereichs anbieten zu können. Die daraus resultierenden Vorteile wurden eingangs schon angerissen: Eine echte Full-Service-Agentur könnte alle benötigten Leistungen „inhouse“ abdecken und ihren Kunden zentral anbieten.

Das ermöglicht eine umfassende Betreuung der Kunden, ganz nach Bedarf, über das gesamte Service-Portfolio hinweg – abgestimmt durch zentrale Ansprechpartner. Ideal zum Beispiel für integrierte Kommunikation und disziplinübergreifende Projekte. Praktisch zudem für Kunden, die keine breite Marketingkompetenz im Unternehmen vorhalten können. Darüber hinaus aber auch für größere Unternehmen sehr attraktiv: Wer wünscht sich ein derart übersichtliches Betreuungsmodell nicht?

Auf der anderen Seite hat die Servicevielfalt natürlich ihren Preis. Die zahlreichen Arbeitsfelder im Werbe- und Marketingumfeld verlangen der Full-Service-Agentur eine immense Kompetenzbreite ab, die mit jeder neuen Disziplin wächst. Das macht es für normalgroße Agenturen zunehmend schwieriger, dem Full-Service-Versprechen noch gerecht zu werden. Vor allem, wenn dabei die Qualität nicht auf der Strecke bleiben soll.

Großagenturen wiederum, mögen zwar über den Personalapparat verfügen, um viele Spezialdisziplinen abzudecken, sind aber mit ihren komplexen Strukturen auch auf budgetstarke Kunden angewiesen. Ein Partner eher für Konzerne als für KMUs.

b) Spezialagentur
Gegenüber den breit ausgerichteten Full-Service-Anbietern geht die Spezialagentur deutlich agiler an den Start: Sie kann sich auf einen oder mehrere Themenbereiche konzentrieren und punktet in diesen Feldern mit hoher, klar konturierter Fachkompetenz. Bedingt durch ihre fokussierte Ausrichtung kommt sie mit schlanken Strukturen aus und kann rasch auf die Anforderungen des Markts reagieren. Das macht sie zu einem schlagkräftigen Partner für das werbetreibende Unternehmen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auch halten kann, was er verspricht.

Ganz ohne Mehraufwand kann man diese Vorzüge auf Unternehmensseite aber nicht genießen. Denn anders als die Full-Service-Agentur zielen die Servicespezialisten ja gerade nicht auf eine übergreifende Betreuung. Will ein Unternehmen also Themen bearbeiten, die mehrere Disziplinen betreffen, muss es dafür meist mehrere Spezialagenturen beauftragen und diese dann anschließend auch selbst koordinieren. Was entsprechenden Kompetenz- und Personalbedarf bedeutet.

 

Zwischenfazit: Full Service ist nicht tot. Aber Spezialisierung ist oft die ehrlichere Antwort.

Schon die kurze Gegenüberstellung der beiden Agenturtypen zeigt: Den „goldenen Schnitt“ kann keins der beiden Betreuungsmodelle bieten. Jeder Ansatz hat seine klaren Stärken, aber eben auch seinen Preis, der die Vorzüge wieder ein Stück weit relativiert. Welches Modell empfehlenswerter ist, hängt letztlich von den Bedürfnissen, aber auch den eigenen Möglichkeiten der Unternehmen ab, die zwischen den Agenturtypen auswählen.

Bei aller Notwendigkeit zur Differenzierung unterstreicht unser Vergleich allerdings auch, warum sich Spezialagenturen so stark im Aufwind befinden: Die Inflation an Disziplinen und der sprunghaft wachsende Bedarf an Spezial-Knowhow, den ein echter Full Service abdecken müsste, stellen Komplett-Anbieter unterhalb der Großagentur-Schwelle vor ein Kompetenzproblem. Und selbst die Dickschiffe der Branche dürften angesichts der steigenden Anforderungen ins Schwitzen geraten.

„Hundertprozentiger Full Service aus einer Hand ist immer auch ein Stück weit Fiktion“.

Letztlich wird nun deutlich, was eigentlich alle schon lange wussten: hundertprozentiger Full Service aus einer Hand ist immer auch ein Stück weit Fiktion. Denn es wäre schlicht nicht leistbar und vor allem auch nicht wirtschaftlich, wirklich jedes noch so exotische Leistungsfeld inhouse mit Experten abzudecken. Und so praktizieren selbst größere Full-Service-Agenturen vielfach eine Art Spezialisierung, indem sie ihren Personalbestand auf die gängigsten Servicebereiche fokussieren. Weniger häufig abgeforderte Leistungen werden dann mithilfe externer Kompetenzpartner bedient.

Womit wir einmal mehr bei den Spezialagenturen angekommen sind.

 

Spezialisierung mit Augenmaß oder: ein Full Service neuer Prägung

Das Vorgehen vieler Full-Service-Agenturen deutet schon an, wie das gefragte Modell einer ganzheitlichen Betreuung überleben könnte: Durch Kooperationen mit kompetenten Spezialisten können sich auch kleinere Full-Service-Anbieter deutlich breiter aufstellen, als es allein möglich wäre. Für die Qualität ihrer Leistung und eine nahtlose Zusammenarbeit im Projekteinsatz kommt es dabei aber natürlich auf die sorgfältige Auswahl geeigneter Partner an.

Bedenkt man nun weiterhin, dass sich solche Agenturgespanne ja auch erstmal bewähren müssen, zeigt sich schnell, dass feste Kooperationsstrukturen die vernünftigste Lösung sind. Ein funktionierendes Netzwerk, über das Spezialisten verschiedener Disziplinen eingebunden werden können, bietet die besten Voraussetzungen, um auch mit externen Partnern für Unternehmen attraktiv zu sein, die eine übergreifende Betreuung wünschen.

„Netzwerk-Kooperationsstrukturen sind längst gelebte Realität“

Hat man diesen Ansatz erstmal nachvollzogen – und er ist ja längst gelebte Realität – öffnet sich der Blick auch für weitere Netzwerk-Konstellationen. Denn das Tor zum Netzwerk muss ja nicht zwingend eine Full Service Agentur bilden. Wichtig ist vielmehr, dass das Gefüge als Ganzes eingespielt ist. Jede Agentur darin steht mit ihrer Spezialkompetenz für transparente Expertise in ausgewählten Bereichen. Und alle zusammen ergeben die Bandbreite, die den Full-Service-Charakter entstehen lässt.

Zu beachten ist dabei nur, dass auch Lead-Kompetenz im Netzwerk vorhanden sein muss. Mindestens eine, idealerweise sogar mehrere der Agenturen im Verbund, sollten in der Lage sein, in den Lead zu gehen und Unternehmen mit Full-Service-Anspruch beratend und als zentraler Ansprechpartner zur Seite zu stehen.

Erst dann ergibt ein Rundum-Betreuungs-Gefüge, das der Full-Serviceagentur „von früher“ nahekommt. Ein Modell, das Spezialisierung und Kundenfreundlichkeit zum quasi Besten beider Welten verbindet. Und eine Lösung, von der auch wir bei line communication fest überzeugt sind, weshalb sich unsere Agentur schon vor Jahren dem Kompetenznetzwerk der Brand Galaxy Group angeschlossen hat.

 

Überblick gewinnen: Tipps für die Agenturauswahl

Was also ist zu tun, wenn man als kleines oder mittleres Unternehmen vor der Frage steht, welche Agentur(en) man im Rahmen seiner Projektvorhaben beauftragen soll? Eins dürfte aus dem bisher Gesagten schon klar geworden sein: eine glasklare Präferenz für Full-Service-Modelle oder Spezialanbieter lässt sich pauschal kaum treffen. Zumal, wie gezeigt, längst zielführende Kombinationen beider Welten auf dem Markt verfügbar sind.

Letztlich muss jedes einzelne Unternehmen nach seinen Projektanforderungen und unternehmerischen Möglichkeiten entscheiden, ob es lieber mit Spezialisten arbeiten will, eine reine Full-Service-Agentur klassischer Art oder eine Mischlösung neuer Prägung wählt.

Wichtige Faktoren auf Projektseite sind dabei zum Beispiel: Projektgröße und -budget, Themenbreite und Anzahl der betroffenen Disziplinen sowie der erforderliche Grad an Expertise und Spezialwissen für das Vorhaben. Je anspruchsvoller sich ein Projekt angesichts dieser Umstände gestaltet, desto wahrscheinlicher wird es, dass Spezialisten einbezogen werden müssen. Wenn sich diese über mehrere Disziplinen verteilen, kommt zusätzlich das Bedürfnis nach übergreifender Steuerung ins Spiel.

„Die Full-Service Betreuung durch eine Agentur allein wird für immer weniger KMUs eine passende Alternative sein“.

Ob die Koordination der Spezialisten Inhouse geleistet werden kann oder ob dafür doch eher ein Full-Service-Modell empfehlenswert ist, hängt stark von den Voraussetzungen des beauftragenden Unternehmens ab: Gibt es genügend Marketing-Kompetenz im eigenen Haus, um die Spezialagenturen komplett eigenständig zu führen? Macht es ggf. Sinn, noch passendes Know-how und Ressourcen aufzubauen?

Nur in letzteren Fällen empfiehlt es sich, ausschließlich mit Spezialagenturen zu arbeiten. Ansonsten sollte das Unternehmen für ein möglichst attraktiv ausgestaltetes, breiter aufgestelltes Modell entscheiden. Die „pauschale“ Full-Service-Betreuung alter Prägung durch eine Agentur allein wird dabei für immer weniger KMUs eine passende Alternative sein. Entweder sind solche Anbieter als Großstrukturen schlicht zu teuer, oder sie bieten mangels Manpower im Rahmen anspruchsvoller Projekte nicht genug Kompetenz.

Attraktiver stehen angesichts dieser Umstände die „Mixed“-Modelle mit Netzwerk-Anschluss da: Sie bieten einerseits die Kompetenz der Spezialisten plus hohe Flexibilität und ermöglichen zugleich auch eine kontinuierliche, übergreifende Betreuung mit Full-Service-Anspruch, wie sie sich viele KMUs nach wie vor wünschen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass das Netzwerk entsprechend aufgestellt und eingespielt ist.

Doch selbst wenn ein Agenturpartner für Sie den Lead übernimmt, heißt das nicht, dass Sie sich einfach zurücklehnen sollten: Es lohnt sich immer, darüber nachzudenken, wie Sie die strategische Kompetenz und das Know-how Ihrer Marketingabteilung stärken können. Gerade angesichts der unglaublich dynamischen Entwicklung im digitalen Sektor. Denn nur eine Marketing-Crew, die auf Augenhöhe agiert, ist ein starker Akteur im Zusammenspiel mit Ihren Agenturpartnern und kann die Vorteile des von Ihnen gewählten Betreuungsmodells souverän nutzen.

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Michael Uecker
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Seit 7 Jahren bringt Michael bei uns Kommunikation auf Linie. Als Texter und Konzeptioner mit vielseitiger Branchenerfahrung verarbeitet er auch komplexe Themen und Aufgabenstellungen zu fesselnden Stories und Botschaften.
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